Forschungsstelle Ergotherapie

Ergotherapie über Whatsapp und Videocall

Während des Lockdowns im Frühling 2020 haben viele Ergotherapeutinnen und -therapeuten Behandlungen über digitale Kanäle durchgeführt. Eine Studie von Ergotherapie- und Hebammenforschenden am Departement Gesundheit zeigt: Die Erfahrung wurde mehrheitlich als positiv beurteilt, es bestehen jedoch Wissenslücken und Hürden. Mit verschiedenen Projekten möchten Ergotherapieforschende zu einer besseren Versorgung auf Distanz beitragen.

Im Frühling 2020 stand das öffentliche Leben in der Schweiz praktisch still. Zur Eindämmung der Coronapandemie schickte der Bundesrat das Land Mitte März in einen mehrwöchigen Lockdown: Sämtliche nicht lebensnotwendigen Geschäfte mussten schliessen, viele Dienstleistungen per sofort eingestellt werden, und die Bevölkerung war aufgerufen, zuhause zu bleiben – vor allem besonders gefährdete Menschen über 65 Jahre oder solche mit einer chronischen Erkrankung. Von den massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens waren auch die Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten im ganzen Land betroffen. Einerseits, weil nicht dringend notwendige Therapien untersagt waren, anderseits, weil ein Grossteil der Klientel aufgrund des Alters zur Gruppe der besonders gefährdeten Personen gehört.

Überraschend positives Urteil
Zahlreiche Therapeutinnen und Therapeuten stellten in dieser Phase die Versorgung allerdings nicht komplett ein. Stattdessen griffen sie auf digitale Kanäle wie beispielsweise Videotelefonie, Chats oder E-Mails zurück, um ihre Klientinnen und Klienten auf Distanz zu betreuen und zu therapieren, wie eine gemeinsam von Ergotherapie- und Hebammenwissenschaftlerinnen am ZHAW-Departement Gesundheit durchgeführte Studie ergab. Von den 639 Ergotherapeutinnen und -therapeuten, die für die Studie kurz nach dem Lockdown an einer Onlinebefragung teilnahmen, führten rund 68 Prozent Behandlungen auf Distanz durch. Ein hoher Wert, der Brigitte Gantschnig, Co-Leiterin der Studie, jedoch nicht erstaunt. «In der Ergotherapie wurden digitale Kanäle wie E-Mails oder Videotelefonie schon vor der Pandemie für die Kommunikation und die Betreuung von Klientinnen und Klienten eingesetzt», sagt sie. Eher überraschend für die Leiterin Forschung und Entwicklung am Institut für Ergotherapie war jedoch, «dass viele Ergotherapeutinnen und -therapeuten die Arbeit auf Distanz so positiv beurteilt haben.» 67 Prozent bewerteten die Versorgung über digitale Kanäle als positiv oder als mehrheitlich positiv. Angesichts fehlender Vorbereitungszeit und Schulungen für den professionellen Umgang mit diesen Kanälen habe sie mit einem negativeren Urteil gerechnet, so Gantschnig.

Rechtliche Hürden und fehlende Vergütung
Für die Versorgung auf Distanz, die auch als Tele-Ergotherapie bezeichnet wird, wurde von den befragten Fachpersonen das Telefon am häufigsten eingesetzt, gefolgt von Chats – beispielsweise über Whatsapp – E-Mails, Videotelefonie und SMS. Als geeignetsten Kanal für ihre Arbeit sahen 94 Prozent der befragten Ergotherapeutinnen und -therapeuten zwar die Videotelefonie an – nur gerade die Hälfte setzte diese während des Lockdowns aber auch ein, und das, obwohl Videotelefonie der einzige Kanal war, über den die Tele-Therapie von den Krankenkassen gemäss einer Verordnung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) vergütet werden konnte. Als mögliche Gründe für diese Diskrepanz sehen die Forschenden zum einen eine mangelnde Vertrautheit mit der Videotelefonie bei den Therapeutinnen und -therapeuten sowie bei der häufig älteren Klientel, zum anderen aber auch Unsicherheiten bezüglich rechtlicher und datenschutzrelevanter Aspekte.

Diese Werte setzen sich aus den Antworten sämtlicher Studienteilnehmenden zusammen, also von Ergotherapeutinnen und Hebammen.
Diese Werte setzen sich aus den Antworten sämtlicher Studienteilnehmenden zusammen, also von Ergotherapeutinnen und Hebammen.

Grosser Bedarf nach Weiterbildungen
Unsicherheiten zeigten sich auch im von den Studienteilnehmenden geäusserten Weiterbildungsbedarf: Über 65 Prozent wünschen sich mit Blick auf die Tele-Ergotherapie Angebote, um Wissenslücken im Bereich Datenschutz und Recht zu schliessen. Nur zur Abrechnung mit den Kostenträgern gaben noch mehr Therapeutinnen (knapp 70 %) an, Unterstützungsangebote zu benötigen. Dass bei der Vergütung für viele Ergotherapeutinnen und -therapeuten grosse Fragezeichen bestehen, erstaunt nicht: Zwei Drittel erhielten aufgrund der Verordnung des BAG keine oder nur eine teilweise Vergütung für Behandlungen auf Distanz. «Viele haben gratis gearbeitet», sagt Brigitte Gantschnig.

«Das Thema wird in der Praxis eine immer wichtigere Rolle spielen»

Die Wissenslücken und Unsicherheiten bezüglich der Tele-Ergotherapie gelte es zu schliessen, sagt Verena Klamroth-Marganska, stellvertretende Leiterin Forschung und Entwicklung am Institut für Ergotherapie. Denn: «Das Thema wird in der Praxis eine immer wichtigere Rolle spielen.» Um bei der Versorgung auf Distanz künftig Unterstützung bieten zu können, hat der ErgotherapeutInnen-Verband Schweiz EVS die Forschenden am Departement Gesundheit mit der Umsetzung einer digitalen Broschüre beauftragt. Diese bezieht die Ergebnisse der Studie sowie aus weiteren Interviews mit Ergotherapeutinnen und -therapeuten mit ein und wird im Herbst 2021 veröffentlicht. Sie gibt einen Überblick über die aktuelle Literatur und bietet Lösungsansätze und praktische Tipps zur Tele-Ergotherapie. Dabei deckt sie neben der Therapie auf Distanz in Echtzeit (synchron), etwa über Videokonferenzen oder Apps, auch die asynchrone Tele-Ergotherapie mithilfe von Übungsvideos, Fotos, E-Mails oder anderen Technologien ab. Neben Informationen zum Datenschutz, zu rechtlichen Aspekten oder zur Vergütung beantwortet die Broschüre zahlreiche Fragen, beispielsweise dazu, für welche Klienten und Therapieformen sich eine Tele-Ergotherapie eignet oder welche Assessmentinstrumente für den Einsatz auf Distanz sinnvoll sind.

  • Ein Handroboter fürs Heimtraining

    Zunehmend kommen in der Rehabilitation nach einem Unfall oder einer neurologischen Erkrankung Therapieroboter zum Einsatz. Die Geräte bieten ein grosses Potenzial: Sie ermöglichen es Betroffenen, eine Bewegung selbständig und in hoher Anzahl zu wiederholen, und beschleunigen so den Rehabilitationsprozess. Bei vielen Robotern werden die Übungen zudem mit einem Computerspiel kombiniert, was zu einem spielerischen und motivierenden Training führt. Und sie erlauben es, verschiedene Daten wie Krafteinsatz und Bewegungsradius, aber auch Dauer oder Häufigkeit des Trainings zu erfassen und so das Training an die Bedürfnisse der Nutzerin oder des Nutzers anzupassen.

    Ein solcher Therapieroboter, der GripAble, ist derzeit auch Gegenstand eines Projekts von Forschung und Entwicklung am Institut für Ergotherapie. Beim GripAble handelt es sich um einen Handgriff mit Sensoren, mit welchem die Funktionsfähigkeit und die Griffkraft der Hand trainiert werden können – in einer Reha-Klinik oder Zuhause. Durch Handbewegungen und Druck auf den GripAble spielen Klientinnen und Klienten auf einem Tablet Spiele.

    Bislang wurde der GripAble vor allem bei neurologisch erkrankten Klientinnen und Klienten eingesetzt. Dabei zeigte er gute Effekte unter anderem bei Menschen, die nach einem Schlaganfall unter einer halbseitigen Lähmung litten. «Wir untersuchen nun gemeinsam mit Partnern aus der Praxis, ob der GripAble auch für die Rehabilitation nach einem Handgelenksbruch geeignet ist», sagt Projektleiterin Verena Klamroth-Marganska. Dazu werden Personen, die den Handroboter in der Reha-Klinik oder Zuhause verwendet haben, befragt. «Ihr Feedback soll Aufschluss darüber geben, ob er benutzerfreundlich und anwendbar ist.»

Mit Laptopkamera Bewegungen analysieren
Neben der Broschüre für den EVS befasst sich die Forschungsstelle Ergotherapie in weiteren Projekten mit der Tele-Ergotherapie. So wird in einem gemeinsamen Projekt mit der Universität Zürich und der ZHAW School of Management and Law erforscht, wie mit einfachen Kameras, die zum Beispiel in Laptops oder Smartphones verbaut sind, Bewegungen von Klientinnen und Klienten automatisch analysiert werden können. Der Fokus liegt dabei auf Personen, die nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt sind. Diese kompensieren bei Aktivitäten die eingeschränkte Bewegungsfreiheit ihrer Glieder häufig mit zusätzlichen Bewegungen, beispielsweise des Rumpfes. Solche Kompensationsbewegungen verlangsamen den Genesungsprozess und können zu zusätzlichen Beschwerden führen. Mit dem Projekt soll eine Software entwickelt werden, die im Bereich der asynchronen Tele-Therapie Kompensationsbewegungen erkennt und Feedback an die betroffene Person und an ihre Therapeutin oder ihren Therapeuten gibt. «Die Herausforderung bei der Entwicklung einer solchen Software ist, dass Bewegungen dreidimensional ablaufen, Laptop- oder Handykameras jedoch nur zweidimensional sehen», sagt Klamroth-Marganska. Die Lösung bestehe in der Entwicklung einer künstlichen Intelligenz (KI), die Kompensationsbewegungen auch auf Basis von zweidimensionalen Aufnahmen erkenne. Dazu wird die Software mit Aufnahmen von gesunden und kompensatorischen Bewegungen «gefüttert» – und lernt diese schliesslich zu unterscheiden. Den ergotherapeutischen Beitrag zum Projekt leistet die Doktorandin Lena Sauerzopf von Forschung und Entwicklung am Institut für Ergotherapie. Im Rahmen ihrer PhD-Arbeit entwickelt sie zudem eine Reihe von Videos, die Menschen mit einer Halbseitenlähmung bei verschiedenen wichtigen Themen, beispielsweise der Schonhaltung, und bei Bewegungen anleiten sollen. «Für die asynchrone Tele-Therapie können Themen mit Videos viel eingängiger vermittelt werden als etwa mit einem Text.»


Chancen und Grenzen bei gesundheitsbezogener Behandlung auf räumlicher Distanz

Co-Projektleitung
Prof. Dr. Brigitte Gantschnig (Forschung und Entwicklung Institut für Ergotherapie), Prof. Dr. Jessica Pehlke-Milde (Forschung Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit)

Projektteam
Thomas Michael Ballmer und Prof. Dr. Verena Klamroth-Marganska (Forschung und Entwicklung Institut für Ergotherapie), Dr. Michael Gemperle und Dr. Susanne Grylka (Forschung Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit)

Finanzierung
Interne Förderung

Projektpartner
ErgotherapeutInnen-Verband Schweiz EVS, Schweizerischer Hebammenverband SHV