Die Gesundheitsversorgung von älteren Menschen verbessern

Betreuende Angehörige stossen oft an ihre Grenzen

In der Schweiz fühlen sich betreuende Angehörige in ihrer neuen Situation oft überfordert und alleingelassen, wie eine Studie des ZHAW Instituts für Pflege zeigt. Die Forschenden empfehlen eine frühzeitige Sensibilisierung und eine stärkere Einbindung von Vertrauenspersonen. 

Angehörige bilden in der häuslichen Langzeitversorgung in der Schweiz die wichtigste Stütze. Die Betreuung und Pflege ihnen nahestehender Menschen fordert sie jedoch oft bis an ihre Grenzen und darüber hinaus. Auch, weil bei der externen Unterstützung Lücken bestehen. Die im Rahmen des Förderprogramms «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017–2020» des Bundesamts für Gesundheit durchgeführte Studie «Unterstützung für betreuende Angehörige in Einstiegs-, Krisen- und Notfallsituationen G04» zeigt auf: Insbesondere Settings, in denen Angehörige nach und nach die Betreuungsrolle übernehmen, bergen das Risiko der Isolation und Überlastung. «Vor allem bei chronischen Krankheiten und altersbedingten Einschränkungen sind sich Angehörige ihrer neuen Rolle lange nicht bewusst und laufen Gefahr, externe Unterstützungsangebote nicht rechtzeitig in Anspruch zu nehmen», sagt Studienleiter André Fringer, Forscher am ZHAW-Institut für Pflege.   

Im Betreuungssetting gefangen
Für die Studie wurden rund 50 betreuende Angehörige und gut 30 Leistungsanbieter interviewt sowie eine quantitative Umfrage durchgeführt, an der jeweils rund 300 Angehörige und Fachpersonen teilnahmen. Die Ergebnisse zeigen, welchen Belastungen betreuende Angehörige ausgesetzt sind. So gab ein Viertel der Befragten an, täglich mehr als 15 Stunden für die Versorgung ihnen nahestehender Personen aufzuwenden. Ein Drittel fühlte sich im Betreuungssetting gefangen. Rund 80 Prozent haben eine Krise der betreuten Person erlebt, über 60 Prozent eine eigene durchgemacht. Als besonders hilfreich bewerteten Betroffene in einer solchen Krisensituation externe Hilfe wie beispielsweise Beratungsgespräche, Hausbesuche oder Springereinsätze. 

Hausärztinnen und Hausärzte sowie Spitex stärker einbinden 
Gemäss dem an der Studie beteiligten Team aus Pflegeforschenden der ZHAW, der FHS St.Gallen und der Careum Hochschule Gesundheit braucht es Richtlinien, wie betreuende Angehörige erreicht und unterstützt werden können. Die Forschenden empfehlen, frühzeitig zu sensibilisieren und Informationen zur Verfügung zu stellen. Organisationen und Gemeinden sollten noch stärker Beratungs-, Begleitungs- und Unterstützungsangebote bereitstellen. Der Aufbau oder die Förderung von Caring Communities – Gemeinschaften in Quartieren, im Dorf oder in Wohnsiedlungen – sehen sie als weitere Möglichkeit, um die dort lebenden Menschen mit dem Thema Angehörigenbetreuung vertraut zu machen. «Externe Angebote sollten im Sinne einer integrierten Versorgung nicht als Holschuld der Betroffenen, sondern als Bringschuld verstanden werden», sagt Fringer.  

«Vertrauenspersonen können rechtzeitig Impulse für die Inanspruchnahme externer Unterstützung setzen.» 

Weiter soll gemäss dem Studienteam das Potenzial von Vertrauenspersonen wie Hausärzten oder Spitex-Mitarbeitenden stärker genutzt werden. «Diese haben einen privilegierten Zugang zur Zielgruppe und können rechtzeitig Impulse für die Inanspruchnahme externer Unterstützung geben», so Fringer. Die Studienergebnisse zeigen auch, dass Begleitung, Beratung und Unterstützung besser sind, wenn Fachpersonen den Einstieg in die Angehörigenbetreuung als Prozess mit verschieden Phasen verstehen, die jeweils ganz andere Herausforderungen mit sich bringen. Das Bewusstsein für diese unterschiedlichen Phasen sowie die Konzentration auf die betroffenen Familien (familienzentrierter Ansatz) soll laut den Forschenden dabei helfen, besser auf die individuellen Bedürfnisse der verschiedenen Betreuungssettings einzugehen. 


Unterstützung für betreuende Angehörige in Einstiegs-, Krisen- und Notfallsituationen G04 

Projektleitung
Prof. Dr. André Fringer (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Pflege);  

Stv. Projektleitung
Prof. Otto Ulrich (Careum Hochschule Gesundheit) 

Projektteam
Eleonore Arrer (FHS St.Gallen), Fabian Berger und Dr. Heidi Kaspar (Careum Hochschule Gesundheit), Sabrina Stängle (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Pflege)  

Finanzierung
Bundesamt für Gesundheit (BAG) 

Projektpartner
Fachhochschule St. Gallen FHSG, Careum Hochschule Gesundheit