Die Gesundheitsversorgung von älteren Menschen verbessern

Symptome bei Menschen mit Demenz besser erkennen

Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz können Beschwerden und Bedürfnisse häufig nicht mehr richtig kommunizieren. Das erschwert es Pflegefachpersonen und Angehörigen, belastende Symptome zu erkennen und deren Ursache zu identifizieren. Ein Instrument aus England, das Forschende am Institut für Pflege für die Schweiz anpassen, soll sie künftig dabei unterstützen.

Die Pflege und die Betreuung von Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz können herausfordernd sein. So ist es in diesem Stadion der Erkrankung häufig sehr schwierig, Begleitsymptome der Demenz, Anzeichen einer anderen Erkrankung, aber auch sonstige Beschwerden und Bedürfnisse bei den Betroffenen zu erkennen. Denn diese selbst können oftmals nicht mehr kommunizieren, wenn sie zum Beispiel unter Zahnschmerzen leiden, Schluckprobleme oder eine juckende Haut haben; sie können nicht mehr artikulieren, weshalb sie antriebslos sind oder was sie bedrückt.

«Stellt man gesundheitliche Probleme nicht rechtzeitig fest, können sie weitere Erkrankungen verursachen.»

Diese Schwierigkeit, körperliche und psychische Beschwerden und Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und richtig zu interpretieren, kann schwerwiegende Folgen haben, sagt Maria Schubert, Pflegewissenschafterin am ZHAW-Departement Gesundheit. «Stellt man gesundheitliche Probleme nicht rechtzeitig fest und behandelt sie nicht, können sie Komplikationen oder weitere Erkrankungen verursachen. So können Schluckbeschwerden dazu führen, dass eine Person zu wenig trinkt – was ein Delir zur Folge haben kann.» Ausserdem würden sich bei dementen Personen gewisse Symptome sehr ähnlich äussern, «beispielsweise Angst und Schmerzen», so die Pflegewissenschafterin. Das Unvermögen, diese zu erkennen und richtig zu deuten, könne für Pflegefachpersonen und Angehörige belastend sein. «Sie sehen zwar, dass die Person leidet, wissen aber nicht, warum. Dies kann ein Gefühl der Hilflosigkeit auslösen», sagt Maria Schubert.

Instrument aus England soll Abhilfe schaffen
Bis anhin gab es in der Schweiz kein geeignetes Instrument, das Pflegende und Angehörige dabei unterstützt, belastende Symptome bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz besser zu erkennen. Für die Pflege zuhause durch Spitex-Mitarbeitende und Angehörige sowie für die Pflege in Spitälern und Kliniken adaptiert Maria Schubert zusammen mit Doktorandin Susanne De Wolf-Lindner sowie weiteren Pflegeforschenden deshalb zurzeit die «Integrative Palliative Care Outcome Scale for People with Dementia (IPOS-Dem)». Dieses Erfassungsinstrument wurde am Kings College in London entwickelt und wird in verschiedenen europäischen Ländern eingesetzt. Es hilft bei der Identifizierung verschiedener körperlicher und psychischer Symptome und erlaubt es mithilfe von Einschätzungsskalen, deren Intensität zu bestimmen. «IPOS-Dem ermöglicht ein schnelles und einfaches Assessment von Symptomen sowie ein systematisches Vorgehen bei der Suche nach deren Ursachen», so Maria Schubert. Daneben biete es Unterstützung bei der Abklärung von Bedürfnissen und der Klärung von Betreuungsfragen. Für die Implementierung in der Schweiz hat das Forschungsteam das Instrument in einem ersten Schritt übersetzt, wobei es auf eine deutschsprachige Version der Universität München zurückgreifen konnte. «Gewisse Begriffe mussten wir trotz der bestehenden Übersetzung anpassen und beispielsweise den in Deutschland gebräuchlichen Begriff ‹Zahnprothese› durch ‹künstliches Gebiss› ersetzen.»

Unruhe ist nicht gleich Unruhe
Angepasst wurde IPOS-Dem ausserdem an das häusliche Setting und den Akutbereich. Denn das Instrument wurde ursprünglich für die Langzeitpflege entwickelt. «Gewisse Verhaltensweisen und Symptome äussern sich zu Hause anders als in Instituten der Langzeitpflege», erklärt Maria Schubert. So zeige sich etwa Unruhe zu Hause eher dadurch, dass eine Person in der Wohnung umherlaufe, während sie sich in der Klinik lediglich im Bett wälze. Nicht zuletzt achteten die Forschenden bei der Anpassung des Instruments darauf, dass es auch für Laien verständlich ist. «So kann IPOS-Dem auch von den Angehörigen genutzt werden», sagt Maria Schubert.

Man spricht vom Gleichen
In einem zweiten Schritt wird die Schweizer Version von IPOS-Dem derzeit in der Praxis getestet. Die Validierung soll zeigen, wie genau mit dem Instrument belastende Symptome erkannt werden können und wie gut Pflegende und Angehörige damit zurechtkommen. Antworten darauf liefern Interviews mit beiden Gruppen. «Die ersten Rückmeldungen von der Spitex sind positiv. IPOS-Dem wird als hilfreich wahrgenommen – auch weil es in der Kommunikation zwischen den Pflegenden, aber auch mit den Angehörigen eine gemeinsame Grundlage schafft.» Der Praxistest soll auch Hinweise dazu liefern, wie oft das Instrument eingesetzt werden soll. «Ist es sinnvoll, Symptome regelmässig abzuklären oder nur dann, wenn sich das Verhalten oder der körperliche Zustand der betroffenen Person verändert hat? Diese Frage gilt es noch zu klären», sagt Maria Schubert. 

Verschiedene Projekte im Bereich der Palliativpflege

SENIORS-D, mit dem das Erfassungsinstrument IPOS-Dem für die Schweiz angepasst wird, ist eines von drei Projekten von Forschung und Entwicklung am Institut für Pflege, die sich unter der Bezeichnung SENIORS mit der Pflege von Menschen am Lebensende oder mit einer degenerativen Krankheit befassen. SENIORS-E evaluiert die spezialisierte Palliative Care im Alters- und Pflegeheim Salem in Ennenda (GL). Das Sterbehospiz wird als Pilotprojekt betrieben und durch den Kanton Glarus über vier Jahre finanziell unterstützt. Der Kanton hat das Institut für Pflege mit der Evaluation des Pilotbetriebs beauftragt. Beim Projekt SENIORS-I wiederum unterstützen die Pflegeforschenden das Zentrum für Palliative Care am Kantonsspital Winterthur bei der Einführung von patientenzentrierten Outcome-Messinstrumenten, sogenannten PROMs. Die Forschenden helfen ausserdem bei der Schulung des Pflegepersonals des Zentrums mit.

Prof. Dr. Maria Schubert  
ZHAW Gesundheit 
Institut für Pflege 
Katharina-Sulzer-Platz 9 
8400 Winterthur  

+41 (0) 58 934 65 03


SENIORS-D

Projektleitung
Prof. Dr. Maria Schubert (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Pflege), Prof. Dr. Fliss E. M. Murtagh (Wolfson Palliative Care Research Centre, Hull York Medical School, University of Hull, UK)

Projektteam
Susanne de Wolf-Linder (Projektmanagerin), Margarete Reisinger und Elisabeth Gohles (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Pflege)

Finanzierung
Gloria Grathwohl Palliativ Stiftung (GGPS)

Projektpartner
Wolfson Palliative Care Research Centre, Hull York Medical School, University of Hull; POS Palliative care Outcome Scale, King’s College London; Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin LMU Klinikum der Universität München