Neue Technologien – Hightech für Seniorinnen und Senioren

Ein Anzug für mehr Mobilität

Der Myosuit wurde eigentlich für Menschen mit paraplegischen Erkrankungen entwickelt. Im Rahmen eines Forschungsprojekts am Institut für Physiotherapie soll das Hightech-Gerät nun auch für ältere Personen adaptiert werden.

Vor zwei Jahren nahm Lorenz Schwärzler mithilfe eines Myosuit am Zürich Marathon teil. Seit einem Badeunfall in der Jugend ist er teilweise querschnittgelähmt. Dank des Exoskeletts, das wie eine zusätzliche Muskelschicht die Kraft und Stabilität in den Fussgelenken, Knien und Hüften verstärkt, konnte er am traditionellen Laufsportanlass eine Teilstrecke zurücklegen. «Es fühlt sich an, wie wenn ich normal gehen könnte», freut sich Schwärzler in einem Youtube-Video. «Ich habe damit keine Schmerzen.»

Der Myosuit wird in der Schweiz und in Deutschland seit einem guten Jahr in diversen Reha-Kliniken und Physiotherapiepraxen für die Therapie von Menschen mit neurologischen und neuromuskulären Erkrankungen eingesetzt. Nun soll sein Anwendungsbereich ausgeweitet werden. Vor allem sollen auch ältere Menschen davon profitieren.

Vom Trainingsgerät zum Hilfsmittel für den Alltag
Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird derzeit ermittelt, welche Anpassungen nötig sind, damit der Myosuit nicht nur als Trainingsgerät, sondern auch als Hilfsmittel im Alltag eingesetzt werden kann. «Auch Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit, Feinmotorik und Sehkraft sollten ihn alleine an- und ausziehen können», erklärt Eveline Graf, Bewegungswissenschaftlerin am ZHAW-Institut für Physiotherapie und Co-Leiterin des Projekts «Definition und Validierung von Anwendungsszenarien für den Myosuit». Wird die Bewegungshilfe über mehrere Stunden getragen, sollte sie zudem nicht beim Toilettengang stören und mit Vorteil auch unter den Kleidern getragen werden können, damit sich die Nutzenden damit auch an die Öffentlichkeit wagen. So sollen Aktivität und gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen gefördert werden.

«Anders als mit einem Rollator oder mit Stöcken hat man die Hände frei und kann Arbeiten im Haushalt erledigen.»

Der Myosuit wiegt 5,5 Kilogramm. Er besteht aus einer Art Rucksack, in dem die Steuerung und die Batterie untergebracht sind, sowie aus zwei Manschetten, die mit Klettverschlüssen an den Beinen befestigt werden. Sie enthalten Sensoren, welche die Bewegungen registrieren und mit Kabelzügen über Gesäss und Oberschenkel mit der Steuerung verbunden sind. Wie stark die Bewegungen unterstützt werden, kann individuell und für jedes Bein separat eingestellt werden. «Das Gerät kann nur von Menschen benützt werden, deren Muskelkraft noch ein Stück weit erhalten ist», erklärt Graf. «Es ist nicht wie ein Motorrad, sondern wie ein E-Bike, bei dem man selber treten muss.»

Personen mit generellen Schwächesymptomen könnten mit dem Myosuit längere Distanzen zu Fuss zurücklegen und gleichzeitig ihre Kraft und Ausdauer trainieren. Zudem werde das Gerät vielen erlauben, länger selbstständig zu wohnen, hofft Graf. «Anders als mit einem Rollator oder mit Stöcken hat man damit die Hände frei und kann Arbeiten im Haushalt erledigen.» Das Gerät erleichtert zudem das Aufstehen und Absitzen sowie das Treppensteigen.

Ältere Menschen bei Weiterentwicklung beteiligt
Die Abklärungen erfolgen in enger Zusammenarbeit mit der Firma MyoSwiss, die das Gerät vertreibt, sowie mit potenziellen Nutzerinnen und Nutzern. «Ältere Menschen probieren den Prototypen aus und geben uns direkte Rückmeldungen», erklärt Eveline Graf. Für die Verbesserung des Designs, der Software und der Bedienerfreundlichkeit sind auch Fachpersonen der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) involviert. Das auf zwei Jahre angelegte Forschungsprojekt wurde im Sommer 2020 gestartet und wird von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse unterstützt.

Erschwinglich für Privatgebrauch
Die Firma MyoSwiss ist 2017 aus einer Doktoratsarbeit hervorgegangen. Das ETH-Spin-off hat den Myosuit 2020 auf den Markt gebracht. «Der grosse Vorteil im Vergleich mit anderen Exoskeletten ist neben der Einfachheit und Flexibilität auch der Preis», sagt Geschäftsführer Jaime Duarte. Während andere entsprechende Geräte teilweise bis zu 150 000 Franken kosten, ist der Myosuit für knapp 7000 Franken zu haben und somit auch für den Privatgebrauch finanzierbar. Duarte hofft, dass die Krankenkassen künftig einen Beitrag leisten werden, damit noch mehr Menschen von der Entwicklung profitieren können. Zudem will die Firma ihre Innovation demnächst auch in anderen europäischen Ländern vermarkten.

Dr. Eveline Graf
ZHAW Gesundheit
Institut für Physiotherapie
Katharina-Sulzer-Platz 9
8400 Winterthur

+41 (0) 58 934 64 80


Definition und Validierung von Anwendungsszenarien für den Myosuit

Co-Projektleitung
Dr. Jaime Duarte (MyoSwiss), Dr. Eveline Graf (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Physiotherapie)

Projektteam
Prof. Dr. Karmen Franinovic (ZHdK), Leah Reicherzer, Mandy Scheermesser und Christa Wachter Oberli (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Physiotherapie)

Drittmittelgeber
Innosuisse

Projektpartner
MyoSwiss AG, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK – Fachrichtung Interaction Design