Prävention für ein gesünderes Altern

Weniger Stürze, geringere Kosten

Forschende am Institut für Physiotherapie haben zwischen 2016 und 2020 das Präventionsprogramm «Sicher durch den Alltag» der Rheumaliga Schweiz evaluiert. Zum einen wurden die teilnehmenden Seniorinnen und Senioren befragt, zum anderen Unterlagen von Krankenversicherern ausgewertet. Ein Ergebnis hat selbst die Forschenden überrascht.

Ein verrutschter Teppich, die nächste Treppenstufe oder ein herumliegender Schuh: Das Risiko, in den eigenen vier Wänden zu stürzen, ist besonders für Seniorinnen und Senioren gross. In der Schweiz gibt es jährlich über 88 000 Stürze von Menschen über 65 Jahren. Die Hälfte der Unfälle ereignet sich in der häuslichen Umgebung. Ältere Menschen stürzen aber nicht nur häufiger, sondern ziehen sich dabei oft auch schwerere Verletzungen zu als jüngere Personen. Das kann schwerwiegende Folgen haben: Sie müssen ins Spital eingewiesen werden, ihre Mobilität wird eingeschränkt, die Selbstständigkeit geht verloren oder ein Heimeintritt wird nötig. Etwa 1600 Seniorinnen und Senioren sterben jährlich gar nach einem Sturz.

Mehr Sicherheit dank Beratung
Um das Sturzrisiko zu minimieren, hat die Rheumaliga Schweiz (RLS) das Präventionsprogramm «Sicher durch den Alltag» ausgearbeitet. Dabei werden ältere Menschen von einer Physio- oder Ergotherapeutin oder einem -therapeuten zuhause besucht und auf die Gefahren in der Wohnung aufmerksam gemacht. Anhand von konkreten Massnahmen, wie Stolperfallen eliminieren, wird das Sturzrisiko gesenkt. Das Programm ist eine einmalige Intervention mit Nachkontrolle und wird seit seiner Lancierung 2011 vom Institut für Physiotherapie am ZHAW-Departement Gesundheit wissenschaftlich begleitet.

In seiner jüngsten Studie «Evaluation RLS Sturzpräventionsprojekt» hat ein Forschungsteam des ZHAW-Instituts für Physiotherapie, des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie (ZHAW School of Management and Law) sowie der Rheumaliga Schweiz zum einen die Wirksamkeit des Präventionsprogramms und zum anderen dessen Wirtschaftlichkeit evaluiert. Für die Teilstudie zur Wirksamkeit wurden über 700 Seniorinnen und Senioren nach dem Hausbesuch während rund eines Jahres alle zwei Monate telefonisch zu Themen wie Anzahl Stürze, Sturzangst, Lebensqualität oder Programmzufriedenheit befragt. Die Untersuchung erstreckte sich über einen Zeitraum von vier Jahren (2016 bis 2020). Die Befragungen führten Mitarbeitende der Rheumaliga durch, die eigens dafür geschult wurden. Die erhobenen Daten waren beinahe lückenlos. «Das ist eine enorme Leistung, wenn man die Dauer des Projekts und das Durchschnittsalter der Teilnehmenden von über 80 Jahren anschaut», sagt Karin Niedermann Schneider, Professorin für Physiotherapieforschung am Institut für Physiotherapie und Leiterin der Begleitstudie. Für den zweiten Teil, bei dem es um die Wirtschaftlichkeit des Präventionsprogramms ging, haben Gesundheitsökonomen Unfallanzeigen und Kostendaten von drei Krankenversicherungen ausgewertet.

«Jeder Sturz, der vermieden werden kann, ist ein grosser Erfolg.»

Die Ergebnisse der Studie basieren demzufolge auf zwei unabhängigen Datensätzen, doch sie zeigen eins auf: Das Programm ist sehr wirksam und leistet einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Stürzen. So hatte sich die Sturzrate der Seniorinnen und Senioren ein Jahr nach dem Hausbesuch um rund 24 Prozent reduziert, was laut der Studienleiterin eine «eindrückliche Zahl» ist. Zudem konnten moderate positive Langzeiteffekte bezüglich der Sturzangst und der Lebensqualität nachgewiesen werden. «Jeder Sturz, der vermieden werden kann, ist ein grosser Erfolg», sagt Karin Niedermann. «Damit wird die Mobilität der Seniorinnen und Senioren nicht eingeschränkt und sie behalten ihre Selbstständigkeit.»

30 Prozent der Kosten gespart
Ausserdem wurde nachgewiesen, dass eine Teilnahme am Präventionsprogramm aus Sicht der Versicherungen kostenwirksam ist. Im Jahr nach dem Hausbesuch konnte gemäss Studie fast die Hälfte aller schweren Stürze aus dem Vorjahr vermieden werden. Das bedeutete gleichzeitig: 30 Prozent der Kosten für medizinische Behandlungen wurden eingespart – vor allem, weil es weniger Hospitalisationen gab. «Dass diese Zahl so hoch ist, hat uns überrascht», sagt die Studienleiterin. Die Forschenden haben auch nicht damit gerechnet, dass es im Durchschnitt lediglich zwölf Hausbesuche bei verschiedenen Seniorinnen und Senioren braucht, um einen schweren Sturz mit medizinischen Folgen zu vermeiden. Dies sei ein «ausgezeichnetes Aufwand-Nutzen-Verhältnis», das auch die Gesundheitsökonomen beeindruckt habe, sagt Karin Niedermann Schneider.

Die Evaluationsstudie ist mittlerweile abgeschlossen, das Präventionsprogramm «Sicher durch den Alltag» läuft weiter. Bei der Rheumaliga wird zurzeit abgeklärt, wie das Programm noch stärker als Präventionsprojekt verankert werden kann.


Evaluation RLS Sturzpräventionsprojekt

Projektleitung
Prof. Dr. Karin Niedermann Schneider (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Physiotherapie), Prof. Dr. Simon Wieser (Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie – ZHAW School of Management and Law)

Projektteam
Dr. Beatrice Brunner, Dr. Renato Mattli und Stephanie Dosch (ZHAW School of Management and Law), Markus Ernst, Dr. Irina Nast und Prof. Dr. Markus Wirz (Forschung und Entwicklung, ZHAW-Institut für Physiotherapie), Barbara Zindel und Valérie Krafft (Rheumaliga Schweiz)

Finanzierung
Age-Stiftung, Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, Eigenmittel der Rheumaliga Schweiz, der ZHAW und der beteiligten Krankenversicherungen

Projektpartner
Rheumaliga Schweiz